Die Zeit der Binnenwanderungen

Die frühen bekannten Wanderungen von „Grus, Gruss und Gruß“-Familien

Berufliche Wanderschaft (Kathedralenbauer, Bergleute), Migration nach Wetterkapriolen (Magdalenenhochwasser), Pest-Pandemie und Vertreibung aufgrund vieler Kriege (Hussittenkrieg) sorgten schon früh dafür, dass sich die Sippen mit dem Nachnamen „Grus“ und „Gruss“, später auch Gruß, über ganz Europa verbreiteten. Von Süddeutschland in den Norden als Handwerker oder Händler den Rhein entlang, über die Salzstraßen von z.B. Lübeck quer durch Deutschland bis nach Prag in Böhmen oder als als Neusiedler bis ins Baltikum.

  1. Adelmannsfelden liegt im Bühlertal in den schwäbisch- frankischen Waldbergen unweit Ellwangen. Von hier zog ein Johann (Hannß) Gruß, geboren um 1560, nach Colmar im Elsaß und gründete dort eine Familie. Aus Orten in der Nähe kommen die ältesten, im Württembergischen Landesarchiv beurkundeten Nennungen des Namens Gruss/Gruß: Hanns Gruß in Neunheim bei Ellwangen (1459) und Hanns Gruß zu Kochen (Oberkochen) (1471) in der Herrschaft Ellwangen. Es ist möglich, dass der Adelmannsfelder „Gruß“ mit diesen beiden Nennungen in Verbindung gebracht werden kann.Im Jahre 1397 verlobte sich Graf Eberhard IV. von Württemberg mit Henriette von Montfaucon, die er im Jahre 1407 ehelichte. Henriette war die Erbin des Grafen von Montbéliard. Von diesem Zeitpunkt an gehörte Riquewihr und einige Nachbarorte neben der Grafschaft Württemberg- Mömpelgard zu den linksrheinischen Besitzungen des Hauses Württemberg. Diese Herrschaft liegt in unmittelbarer Nachbarschaft zu Colmar, die ehemalige Reichsstadt, Handelsort und sicherer Hort vor kriegerischen Überfällen. Möglicher Weise erfolgte der Umzug aus geschäftlichen oder herrschaftlichen Gründen.

  2. Unweit von Colmar liegt der Weinort Eguisheim. Gemäß einem Interview des Familienforschers Walther Gruhs mit Josef Gruss in Eguisheim am 27.09.1977 stammen die Vorfahren der Winzerdynastie aus Baden-Württemberg. Herkunft unbekannt.

  3. Marlen in der Nähe von Kehl am Rhein, bildete zusammen mit Goldscheuer und Kittersburg bildeten seit Jahrhunderten eine politisch gemeinsame, jedoch siedlungsgeografisch voneinander Dreiergemeinde im Amt Brumath/Elsass. Im 16. Jahrhundert gelangte das Amt im Rahmen von diversen Gebietsteilungen an Zweibrücken-Bitsch. Marlen wird 1551 vorderösterreichisch.

Nachdem in den Reunionskriegen unter Ludwigs XIV. die Landstriche am Rhein durch Besetzungen und Kampf- handlungen für die Bevölkerung unsicher geworden war, sind viele Familien Marlen und Goldscheuer in sichere Regionen geflüchtet. Möglicherweise gibt es aus früheren Zeiten familiäre Bindungen ins Elsass.

• Michel Gruß (geb um 1660) aus Marlen siedelte nach Strasbourg um.

• Mathäus Gruss (geb. um 1690) aus Goldscheuer und sein Sohn Johann (Jean) Gruss begründete einen Familienzweig in Ebersheim/Elsass.

4. Da in der Genealogie unter Polen die im 17. Jahrhundert unter verschiedenen Herrschaften stehenden Regionen wie Ostpreußen, das Baltikum oder Pommern gemeint sein können, ist die Herkunft des Michael Gruss unklar. Meine (unbestätigte) Theorie lautet: Ostpreußen – die meisten Gruss-Familiennennungen sind im 16. und am Anfang des 17. Jahrhunderts im Raum Königsberg zu finden.

• Michael Gruß (geb. 1621) zog von „Polen“ nach Metzwiller im Elsass und begründete dort eine Großlinie die sich auch in umliegende Städte und Orte verzweigt hat.

Die Wanderwege der „Grus, Gruss und Gruß“-Sippen nach der Glaubensspaltung und dem 30-jährigen Krieg bis hin zur frühen Industriealisierung

Ein Ahnenforscher mit Namen Gruß stellte fest, dass die Konfessionszugehörigkeit mit der Landeszugehörigkeit konform geht und auch einige Wanderbewegungen entsprechend nachvollziehbar sind.

Auswirkungen des Augsburger Religionsfriedens

In Deutschland bestimmte der jeweilige Fürst bzw. in den Reichsstädten der Magistrat die Konfession des Landes, in den Schweizer Kantonen die jeweiligen Regierungen. Als Augsburger Religionsfrieden wird ein Reichsgesetz des Heiligen Römischen Reichs bezeichnet, das den Anhängern eines grundlegenden Bekenntnisses der lutherischen Reichsstände dauerhaft ihre Besitzstände und freie Religionsausübung zugestand.

Das Gesetz wurde am 25. September 1555 auf dem Reichstag zu Augsburg zwischen Ferdinand I., der seinen Bruder Kaiser Karl V. vertrat, und den Reichsständen geschlossen. Nach langwierigen Verhandlungen einigte man sich auf die Formel „Wes das Reich, des der Glaube“. Dies ermächtigte den jeweiligen Landesherrn dazu, die Religion seiner Untertanen zu bestimmen; letzteren hingegen wurde das Recht eingeräumt, ihr Land zu verlassen.

Da das deutsche Reich kein einheitliches Gebilde war sondern ein Flickenteppich aus kleinen und größeren Fürstentümern, kirchlichen Herrschaften, freien Reichsstädten und großen Territorialherren, führte dies im Laufe der nächsten Jahrzehnte, vor allem auch nach Einführung der Gegenreformation zu einer Zerstörung der Gesellschaftsstrukturen durch Ausweisung und systematischen Vertreibung der jeweils Andersgläubigen.

Beispiele dazu:

Ausgewiesen aus Faimingen bei Lauingen/Donau wurde der Pfarrer Christian Gruß im Zuge der Gegenreformation des Herzogs von Pfalz-Neuburg nach Stubersheim (östlich von Amstetten auf der Stubersheimer Alb) und begründete dort eine evangelische Familiensippe „Gruß“. (von diesem Ereignis und der Unkenntnis der territorialen Zugehörigkeit von Faimingen zur Pfalz (Herzogtum Pfalz-Neuburg) stammt die Notiz „… ein Gruß aus der Pfalz siedelte in Stubersheim…“. Richtig und doch falsch interpretiert, da nicht die Rheinpfalz gemeint war. Es besteht hier kein Bezug zu Speyer!)

Im Sauerland und den Briloner Höhen ist eine Häufung des Names „Grus/Gruss“ festzustellen, die lange vor der Reformation dort ansässig gewesen sein müssen. Interessant ist dort nach 1555 die Trennung in katholische und protestantische Orte. So lagen Brilon, Rösenbeck, Messinghausen, Madfeld, Beringhausen und Thülen auf kurkölner Territorium und waren daher katholisch. Dort findet man in den alten Schriften die Namen „Grus und Gruss“. Die Linien Altena, Schwelm und Haspe gehörten zur Grafschaft Mark und waren als preußisches Gebiet evangelisch. Dort ist die Schreibweise „Gruß“ vorherrschend.

Nach dem 30-jährigen Krieg, durch den ganze Landstriche entvölkert waren, wurde Südwestdeutschland Einwanderungsland. Besonders schlimm war die Rheinpfalz betroffen, in der 1648 „nach sorgfältiger Schätzung“ nicht mehr als 15 % der ursprünglichen Bevölkerungszahl lebten.

Ab 1650 wurden Glaubensflüchtlinge aus dem Alpenraum und Frankreich ins Land geholt: Protestanten aus Österreich, z.B. nach Freudenstadt; Waldenser aus Italien, z.B. nach Perouse; Hugenotten aus Frankreich nach Mannheim und nach Brandenburg; Juden, z.B. nach Mannheim. Ein Teil der „Neuankommenden“ stammte aus der Schweiz sowie aus Tirol und Vorarlberg (1680 – 1689).

Auch in den Bergbauregionen von Hessen-Darmstadt wurden nach dem Dreißigjährigen Krieg Neusiedler angeworben. Sie sollten dort für wirtschaftlichen Wiederaufstieg sorgen.

Kriege und Kriegsfolgen sorgten im 18. und 19. Jahrhundert für weitere Migrationsbewegungen in Europa

Es ziehen protestantische Sachsen im 18. Jh nach Westpreußen und Posen, protestantische Auswanderer aus dem Raum Gifhorn folgen nach Ende des Siebenjährigen-Krieges den Aufrufen zur Besiedlung in die preußische Altmark und weiter in den Raum Magdeburg, protestantische Bürger Böhmens emigrierten nach Sachsen und vor allem in das preußische Schlesien.

Eine bedeutende Auswanderungswelle fand unter der Bezeichnung „Schwabenzüge“ zur Zeit von Kaiserin Marie Theresia und Josef II von 1700 bis 1790 statt. Die Ansiedlung erfolgte hauptsächlich im Banat, in Ungarn und in Teilen Kroatiens. Die Auswanderer kamen aus ganz Süddeutschland, vor allem aus den Gebieten Vorderösterreichs im Schwarzwald, Oberschwaben und dem Bodenseeraum. Auch aus dem im 30jährigen Krieg verwüsteten und verarmten Elsass schlossen sich Tausende Siedler den „Schwabenzügen“ an.

Neben dem bereits genannten Obergeorgenthal sind ab dem 15. Jahrhundert eine größere Anzahl von Gruss- Familien auch in Schab/Saaz in Böhmen und im näheren Umkreis sesshaft geworden. Von Schaab ist auch eine Rückwanderung zu nennen. Bei dieser handelt es sich wohl um einen Elsässer, der den Entbehrungen in der neuen Heimat nicht gewachsen war oder dessen Erwartungen nicht erfüllt wurden und in seine alte Heimat zurückkehrte:

• Antoine (Anton) Gruß (geb. um 1760) siedelten nach Hagenau/Elsass um. Sein Sohn Bernard heiratete dort. Ein Teil der Sippe hat nach einigen Jahrzehnten den Raum Hagenau – La Walck verlassen und sich in Maubeuge im Département Nord in der Region Hauts-de-France.am Fluss Sambre niedergelassen.

Die Entwicklung des Ruhrgebietes im 19. Jahrhundert führt zu weiteren Binnenwanderungen

Zu Beginn des 18. Jahrhunderts wanderten zahlreiche Bergarbeiterfamilien und auch sehr viele ledige Bergknappen aus den mitteldeutschen und den habsburgischen Montanzentren in die westlichen Reviere in Westfalen und im heutigen Saargebiet.

Mit dem Erschöpftsein einer Lagerstätte wurde in den meisten Fällen sehr schnell ein Wechsel des Arbeitsplatzes gesucht. Soweit möglich verblieben die Bergleute aus dem Bereich des Buntmetallbergbaus auch in neuer Umgebung bei ihrem erlernten

Metier. Bemerkenswert ist, dass die Arbeiter in solche Reviere einwandern, in denen sie auch ihren angestammten Glauben vorfanden. Bei häufigen Zwischenstationen und den vielen Ortswechseln ist in der Tendenz ein eindeutiger Ost-West-Trend dieser Wanderungen zu beobachten.

Bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts übernahm Preußen auch Herrschaft über einige Territorien des Ruhrgebiets, wie die geistlichen Territorien von Werden und Essen. Die Schwerindustrie und der Bergbau wurden gefördert. Viele Familien zogen als gesuchte Arbeitskräfte ins Ruhrgebiet, sowohl aus dem unmittelbaren ländlichen Umfeld als auch aus ferner gelegenen Regionen, um in der Industrie zu arbeiten. Ein größerer Anteil an Zuwanderer im 19. Jahrhundert, Bergarbeiter und Landarbeiter, stammten aus den Ostprovinzen Preußens.

Die Hauptlinien in Europa: Sachsen-Anhalt

Die Hauptlinien in Europa: Die Altmark